Cover
Titel
Die Prostagmata der Ptolemäer.


Autor(en)
Käppel, Eva Christina
Reihe
Abhandlungen der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Papyrologica Coloniensia (45)
Erschienen
Paderborn 2021: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
543 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Demokritos Kaltsas, Department of Classics and Philosophy, Universität Zypern

Bei dem Werk handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung einer Kölner Dissertation, die der Althistoriker Walter Ameling und die Papyrologin Charikleia Armoni betreut haben. Ihr Gegenstand sind die Prostagmata (Dekrete, Erlasse) der Ptolemäer, der im hellenistischen Ägypten herrschenden Dynastie. Die Prostagmata, eine unter mehreren Formen der königlichen Gesetzgebung, waren in der Regel knappe Texte, mit denen der bzw. die Herrscher allerlei kurz- oder längerfristige Einzelmaßnahmen einführten. Eine nicht unbedeutende Anzahl solcher Texte ist uns direkt auf Papyri und Inschriften erhalten (letztere stammen nicht nur aus Ägypten, sondern auch aus anderen Teilen des Reiches, etwa Kyrene und Zypern), weitere sind in der papyrologischen Dokumentation indirekt bezeugt.

Die Arbeit stellt keine Neuedition der ptolemäischen Prostagmata dar, deren definitive, inzwischen etwas veraltete Sammeledition von M.-Th. Lenger stammt1, und auch keinen erklärenden Kommentar zu den Texten (ein Desiderat, das dank diesem Buch nunmehr etwas weniger schmerzlich geworden ist); vielmehr handelt es sich um eine inhaltliche Untersuchung. Einleitend präsentiert Käppel im ersten Kapitel ihren Gegenstand und ihre Arbeitsweise und diskutiert anschließend Grundsätzliches zum ptolemäischen Prostagma. Der Hauptteil der Arbeit zerfällt in zwei große Abschnitte: Im ersten Teil werden der Reihe nach die verschiedenen Bereiche untersucht, welche die uns bekannten Prostagmata zu regeln bestimmt waren; der zweite ist Fragen der „Entstehung, Herstellung und Wirkung der Prostagmata“ gewidmet.

Zum ersten Teil: Die Prostagmata betreffen nach Käppels Einteilung sechs große Bereiche: Im zweiten Kapitel „Gesetzgebung betreffs des Militärs“ geht es fast ausschließlich um Fragen der Einquartierung von Soldaten bzw. ihres Umgangs mit den zugewiesenen Quartieren sowie um Fragen, die mit ihren Kleroi (vom König vergebenen Landstücken) zusammenhängen; vereinzelt stehen daneben ein paar Erlasse über anderweitige königliche Zuwendungen bzw. Privilegien für Soldaten(gruppen). Käppel schließt einleuchtend, dass der Großteil der internen Angelegenheiten des Militärs eben nicht durch Prostagmata geregelt wurde. Sodann in Kapitel drei „Die Sicherung der königlichen Einnahmen“: In erster Linie geht es um schützende oder auch repressive Maßnahmen für Berufsklassen, deren Arbeit für die königlichen Finanzen hochwichtig war (etwa Bauern des Königlichen Landes und Arbeiter in den Monopolen); daneben vereinzelte Regelungen zu verschiedenen Bereichen der Wirtschaft (etwa dem Korntransport, der Steuererhebung, dem Sklavenmarkt) sowie eine geringe Anzahl von „Notfallmaßnahmen“ (etwa die krisenbedingte Auferlegung einer Zwangspacht). Im nächsten, ironisierend als „Qualitätsmanagement“ überschriebenen Bereich (Kapitel vier) behandelt sie wiederholte Versuche der Ptolemäer, behördliche Willkür, Korruption und Amtsmissbrauch einzudämmen; mit breiter Diskussion des Phänomens und der Einstellung der Regierung. In Kapitel fünf „Addenda et Corrigenda zum bestehenden Prozess- und Verwaltungsrecht“ werden vereinzelte Regelungen, um Gesetzeslücken in diesen Bereichen zu schließen, bearbeitet. In Kapitel sechs „Religionspolitik“ folgen verschiedene religionspolitische Maßnahmen wie etwa Vergünstigungen und Asylieverleihungen. Im Zentrum der Diskussion steht das hierin zum Ausdruck kommende Verhältnis zwischen König und Priestern zur Zeit der ersten Ptolemäer sowie später. Der sechste Bereich (Kapitel sieben) enthält dann „Die Amnestieerlasse“, die am deutlichsten abgrenzbare Untergruppe mit den umfangreichsten Exemplaren (u.a. zu Anlässen, formalen Besonderheiten, Publikationsmodus).

Teil zwei beginnt mit „Vom König zum Adressaten“ und damit mit Fragen zu den mitwirkenden Beamten, der Ratifizierung solcher Texte (etwa, wie von manchen vermutet, durch allerhöchste Unterschrift), dem Publikationsmodus, v.a. demjenigen durch Aushang zur allgemeinen Kenntnisnahme, und schließlich zu der Archivierung der Prostagmata und dem Zugang des Publikums zu ihnen (für dieses Kapitel sind die Quellen z.T. recht dürftig). Darauf folgt (Kapitel neun) mit „Ahndung und Bestrafung von Zuwiderhandlung“ eine Untersuchung der in den Erlassen angedrohten Strafen bei Übertretungen, v.a. der Todesstrafe, inklusive der Formel „der König wird über sie [die Zuwiderhandelnden] urteilen“. Kapitel zehn „Dekretierende Königinnen“ beleuchtet sodann die seit Kleopatra I. vorkommende Rolle der ptolemäischen Königinnen als Mitausstellerinnen von Dekreten. Im Anschluss (Kapitel elf) werden angebliche Belege für die Heranziehung ptolemäischer Prostagmata als gültige Rechtsquellen im kaiserzeitlichen Ägypten betrachtet; viele so interpretierte Fälle sind nach Käppel anders zu deuten, sodass nur einige Sonderfälle bleiben, etwa solche, die noch aus frühaugusteischer Zeit stammen oder speziell mit Belangen der griechischen Poleis Ägyptens zusammenhängen.

Es folgt eine detaillierte Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit. Das Werk schließen die Literaturliste, ein Anhang und die Indizes ab; der Anhang bietet eine Konkordanz der Nummern des C.Ord.Ptol. mit weiteren Editionen, eine Tabelle mit den inzwischen bekannt gewordenen Prostagmata, Listen der Erlasse nach Gegenstand sowie nach Herrscher, eine Zusammenstellung der nicht behandelten Prostagmata und schließlich Verweise auf die wichtigeren im Laufe der Arbeit vorgeschlagenen Korrekturen und Neulesungen.

Als durchaus gelungen hat sich die prinzipielle Entscheidung (S. 3–4) erwiesen, in Teil eins die Texte bzw. Textabschnitte nach ihrem Thema zu gruppieren und zu besprechen. Dadurch wurde für diesen Teil der Arbeit eine sehr klare, übersichtliche Gesamtstruktur geschaffen; zudem ließ sich in den einzelnen Kapiteln mit ihren recht allgemein gefassten Thematiken auch ferner liegendes Material unterbringen, ohne ihre Einheit zu beeinträchtigen. Angesichts der Vielfältigkeit des Behandelten hätte es sich m.E. gelohnt, den Sachindex (S. 538–543) analytischer zu gestalten. Gut vertretbar ist dann die gewählte thematische Gruppierung selbst – eine definitive, Alternativen ausschließende Kategorisierung lassen diese Texte ohnehin nicht zu. Auch was in den zweiten, die Gattung als solche beleuchtenden Teil aufgenommen wurde, ist gut gewählt und wichtig; vielleicht wäre eine zusammenhängende Auseinandersetzung mit den formalen Aspekten in einem eigenen Kapitel nützlich gewesen (solche Fragen werden einleitend in Kapitel 1.3.2 und dann gelegentlich auf S. 301–302, 358–363, 371–374, 438 diskutiert).

Im Umgang mit dem zugrunde liegenden dokumentarischen Material zeigt sich Käppel souverän. Für die verschiedenen Einzelbereiche in Teil eins werden jeweils auch alle relevanten Belege aus der sonstigen papyrologischen Dokumentation herangezogen und ausgewertet. Bei der Interpretation werden alle sprachlichen und textkritischen Eigentümlichkeiten der Stücke gebührend berücksichtigt. Besonders beachtet wird auch der jeweilige politische Kontext. Die scharfsinnige und in der Regel überzeugende Argumentation2 zeichnet sich durch ihre Zurückhaltung aus: Mehr als einmal bleibt, nachdem zwei interpretatorische Möglichkeiten gegeneinander abgewogen wurden, das Ergebnis offen. Eine solche skeptische Haltung erscheint gerechtfertigt, wenn man bedenkt, wie oft in diesem Bereich isolierte oder zweideutige Zeugnisse als Bausteine für größere Thesen missbraucht worden sind. Auf solche Fälle weist Käppel wiederholt hin; auch sonst ist die Auseinandersetzung mit der älteren Forschung intensiv.

Somit wird der Papyrologe anregende und weiterführende Diskussion zu einer ganzen Reihe von Einzelproblemen finden. Ich nenne nur die ptolemäische Stathmodosie (die Vergabe von Quartieren an Soldaten; Kapitel 2.2), die sog. Pisteis (staatliche Schutzbriefe bzw. -garantien; 3.1.2), die Stellung der Anwälte (3.2.4), den viel diskutierten „Kleopatra-Brief“ (P.Bingen 45: S. 156–159; Kap. 8.2; 10.2.1), die Regelungen für den Fall eines tätlichen Angriffs, dessen Folgen (schlimmstenfalls der Tod des Opfers) längere Zeit ungewiss blieben (Kap. 5.2), die Abgrenzung zwischen den richterlichen Befugnissen der Chrematisten und der Laokriten (5.3), das ptolemäische Asylierecht (6.2), den Umgang der Herrscher mit den Kulten der heiligen Tiere (6.3), den möglichen „performativen“ Kontext der Verkündung von Amnestien (7.2, bes. S. 363–371), den öffentlichen Aushang als Publikationsmethode (Kap. 8.3) und die Todesstrafe (9.1–2, mit S. 477). Daneben leistet die Arbeit einen beachtenswerten Beitrag zu manchem größeren historischen Themenkomplex, so dem Phänomen behördlicher Willkür und Korruption, dem (Macht-)Verhältnis zwischen König und Tempeln, der Effizienz des Systems, der staatsrechtlichen Stellung der späteren ptolemäischen Königinnen und der Kontinuität mit dem kaiserzeitlichen Ägypten. Besonders scharf ist Käppels Blick, was Entwicklungen zwischen dem 3. und dem 2. bis 1. Jahrhundert betrifft; indem sie verkannte Kontinuitäten herausarbeitet (v.a. in Kapitel sechs), trägt sie im Sinne der neueren Forschung dazu bei, ältere Auffassungen über den „Niedergang“ der Ptolemäer und dessen Gründe zu revidieren.

Alles in allem wird Käppels Buch bei jeder Beschäftigung mit den Prostagmata selbst, dem recht breiten Problemkreis, der mit diesen zusammenhängt sowie überhaupt mit dem Regierungsstil der Ptolemäer heranzuziehen sein. Man kann gespannt sein, wie eine wissenschaftliche Karriere sich entwickeln wird, die so vielversprechend beginnt.

Anmerkungen:
1 Marie-Thérèse Lenger, Corpus des ordonnances des Ptolémées (C.Ord.Ptol.), rev. Aufl. mit Suppl., Bruxelles 1980 (1. Aufl. 1964); Supplement: dies., Corpus des ordonnances des Ptolémées (C.Ord.Ptol.)* Bilan des additions et corrections (1964–1988). Compléments à la bibliographie, Bruxelles 1990.
2 Ein paar kritische Bemerkungen: Die Wörter apobiázesthai auf S. 43 mit Anm. 106 und S. 196 sowie epigoné auf S. 115 scheinen mir nicht korrekt verstanden zu sein; eine ausführlichere Diskussion des ziemlich komplizierten P.Trier II 15 wäre willkommen; die Hypothese von S. 374 erscheint mir zu gewagt.

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